Georgia Vertes analysiert die feministische Kunst der 1970er und zeigt, warum sie gerade heute wieder zentrale gesellschaftliche Fragen aufwirft.
Georgia Vertes widmet sich der feministischen Kunst der 1970er und ihrer politischen Sprengkraft. Die feministische Bewegung veränderte nicht nur das Rollenbild der Frau, sondern auch die Kunstwelt nachhaltig. Zentrale Werke und Positionen prägten den Kunstbegriff bis heute. Die Perspektive ist analytisch, historisch informiert – und überraschend aktuell. Was vor fünfzig Jahren begann, wird heute neu interpretiert.
Georgia Vertes rückt die feministische Kunst der 1970er in den Fokus und untersucht ihre Relevanz im heutigen Diskurs. Werke von Künstlerinnen wie Judy Chicago, Ana Mendieta oder Valie Export brachen mit traditionellen Vorstellungen von Kunst und Weiblichkeit. Die feministische Ästhetik dieser Zeit war nicht nur Ausdruck gesellschaftlicher Veränderung, sondern ein künstlerisches Mittel der Rebellion. Die Betrachtung dieser Kunst erfolgt nicht als abgeschlossenes Kapitel, sondern als lebendige Inspiration für aktuelle feministische Tendenzen in der Gegenwartskunst. Der Ansatz verknüpft kunsthistorische Einordnung mit zeitgenössischer Analyse – und schlägt dabei eine Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart.
Rückblick auf eine revolutionäre Ära
Die feministische Kunst der 1970er-Jahre war kein zartes Aufbegehren, sondern ein lauter, provokativer Aufschrei. Inmitten gesellschaftlicher Umbrüche, zweiter Frauenbewegung und politischem Widerstand begannen Künstlerinnen, ihre Sichtweisen in den Mittelpunkt ihrer Werke zu stellen. In Museen und Galerien hatten sie bis dahin kaum Raum – also schufen sie sich ihre Bühnen selbst: auf der Straße, in leerstehenden Hallen, mit Performances, Installationen und Textarbeiten, die gezielt mit Konventionen brachen.
Georgia Vertes beschreibt diese Zeit als einen kreativen Befreiungsschlag. Die Kunst dieser Epoche war unmittelbar, roh, oft schockierend – und genau darin lag ihre Kraft. Sie thematisierte Menstruation, Mutterschaft, Sexualität, Gewalt, Unsichtbarkeit – Themen, die zuvor kaum in der Öffentlichkeit besprochen wurden. Werke von Künstlerinnen wie Mary Beth Edelson, Lynn Hershman Leeson oder Martha Rosler kombinierten politische Aussagen mit persönlichen Geschichten. Kunst wurde zur Waffe, zur Stimme – und zum Spiegel gesellschaftlicher Zwänge.
Was Georgia Lucia von Vertes besonders fasziniert, ist die direkte Verbindung zwischen Lebensrealität und künstlerischem Ausdruck. Die Kunst dieser Jahre sei oft sperrig, unbequem und schwer zu konsumieren – gerade deshalb aber bleibe sie relevant. Viele der Fragen, die damals aufgeworfen wurden, sind auch heute noch nicht vollständig beantwortet.
Georgia Vertesüber Sichtbarkeit durch Provokation
Es war nicht nur der Inhalt, sondern auch die Form, die die feministische Kunst der 1970er revolutionierte. Künstlerinnen inszenierten sich selbst, zeigten ihre Körper in Grenzsituationen, forderten das Publikum zum Reagieren auf. Der weibliche Körper wurde enttabuisiert – und zugleich politisiert.
Vertes betont, dass viele dieser Werke heute noch schockieren – obwohl Jahrzehnte vergangen sind. Was damals als radikal galt, wird inzwischen zwar kunsthistorisch gewürdigt, hat aber in vielen gesellschaftlichen Debatten noch immer Sprengkraft. Besonders in Performances von Künstlerinnen wie Valie Export, Carolee Schneemann oder Gina Pane zeige sich, wie eng persönliche Verletzlichkeit und politische Aussage verknüpft waren.
Die öffentliche Sichtbarkeit war kein Selbstzweck. Vielmehr ging es darum, den männlich dominierten Kunstbetrieb zu konfrontieren – mit Werken, die sich jeder Vereinnahmung entzogen. Ob durch provokative Fotografien, das Durchbrechen von Galerieräumen oder die Umwidmung von Alltagsgegenständen – die feministische Kunst jener Zeit sprengte Grenzen.
Georgia von Vertes sieht darin eine bewusste Strategie: Die Provokation war ein Mittel zur Befreiung – künstlerisch und gesellschaftlich zugleich. Und auch wenn die Formen sich gewandelt haben, ist diese Direktheit bis heute spürbar.
Zentrale Themen feministischer Kunst der 1970er
Die Vielfalt der feministischen Kunstbewegung zeigt sich auch in den zentralen Themen, die damals verhandelt wurden – oft mit drastischen Mitteln, aber auch mit poetischer Tiefe.
- Körper und Selbstinszenierung: Der weibliche Körper wurde nicht länger als Objekt dargestellt, sondern als aktives, selbstbestimmtes Subjekt inszeniert. Künstlerinnen hinterfragten Schönheitsideale und Geschlechterklischees und lehnten sich auch dagegen auf.
- Mutterschaft und Fürsorge: Themen wie Geburt, Stillen oder Hausarbeit fanden erstmals Platz in der bildenden Kunst – nicht idealisiert, sondern als reale Erfahrung.
- Unsichtbarkeit und Schweigen: Viele Arbeiten setzten sich auch sehr intensiv mit dem strukturellen Ausschluss von Frauen in der Kunstgeschichte auseinander.
- Sexualität und Gewalt: Künstlerinnen machten eigene Erfahrungen sichtbar – oft schonungslos und autobiografisch.
- Kritik am Kunstmarkt: Zahlreiche feministische Werke entstanden außerhalb kommerzieller Räume, als bewusstes Gegenmodell zum elitären Kunstbetrieb.
- Gemeinschaft und Kollektivität: Viele Projekte wurden in Gruppen realisiert – als Gegengewicht zum männlichen Geniekult.
Georgia Vertes von Sikorszky unterstreicht in ihren Betrachtungen, dass diese Themen keineswegs auf die Vergangenheit beschränkt sind. Vielmehr bilden sie ein Fundament für heutige feministische Positionen in der Kunst.
Zwischen Archiv und Gegenwart: Feministische Kunst reloaded
Wie heutige Künstlerinnen an die 1970er anknüpfen
Auch in der Gegenwart erleben feministische Ausdrucksformen eine Renaissance – allerdings mit neuen Mitteln, Medien und Perspektiven. Künstlerinnen greifen nicht nur Themen von damals auf, sondern erweitern sie: um Fragen von Intersektionalität, queerer Identität, Migration, Digitalisierung.
Georgia Lucia von Vertes beobachtet, wie vielschichtig der Rückgriff auf die 1970er dabei ausfällt. In einigen Arbeiten finden sich direkte Zitate – etwa in der Verwendung alter Bildmotive oder Performancekonzepte. Andere Künstlerinnen knüpfen eher atmosphärisch an: Sie schaffen Räume für Empowerment, thematisieren Körperpolitik und nehmen institutionelle Kritik in den Fokus.
Besonders in der digitalen Kunst zeigen sich neue Formen des feministischen Ausdrucks. Plattformen wie Instagram oder TikTok werden zu Ausstellungsräumen, in denen Künstlerinnen sich vernetzen, performen, protestieren. Gleichzeitig bleiben klassische Formate – Ausstellungen, Installationen, Textarbeiten – ein wichtiges Werkzeug, um Themen zu verdichten und gesellschaftliche Prozesse sichtbar zu machen.
Laut Georgia von Vertes liegt der Reiz dieser neuen feministischen Kunst in ihrer Vielstimmigkeit: Während die 1970er oft von einer weißen, westlich geprägten Perspektive dominiert wurden, bringen heutige Künstlerinnen Erfahrungen aus unterschiedlichsten Lebensrealitäten ein.
Was bleibt: Die stete Kraft feministischer Kunst
Es gibt Kunst, die schön ist. Es gibt Kunst, die unterhält. Und dann gibt es Kunst, die verändert. Die feministische Kunst der 1970er gehört zur letzten Kategorie – und ihre Wirkung ist auch heute noch spürbar.
Ob auf der Documenta, in städtischen Offspaces oder in Online-Archiven – feministische Werke sind inzwischen fester Bestandteil der Kunstwelt. Doch ihr Ziel war nie nur Sichtbarkeit. Sie wollten Fragen aufwerfen, zum Denken anregen, Diskussionen auslösen. Genau das tun sie bis heute.
Georgia Vertes zeigt, dass die Kraft dieser Kunst nicht in ihrer Historie liegt, sondern in ihrer fortdauernden Relevanz.